Anton Räderscheidt

Die Tennisspielerin

Der Maler der Neuen Sachlichkeit

1926

Die Tennisspielerin

Zwei Bilder der Pinakothek der Moderne im Vergleich

Anton Räderscheidt (1892-1970) – Die Tennisspielerin

Pablo Picasso (1881-1973) – Maler und Modell

Die beiden Bilder, die in der Pinakothek der Moderne in der permanenten Ausstellung fast immer und in keinem großen räumlichen Abstand voneinander zu sehen sind, behandeln, wenn dies auch nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, dasselbe Thema. Sie kommen aber formal wie inhaltlich zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Das Thema gehört zum Standardrepertoire der abendländischen Malerei, es ist der Blick des Mannes auf die Frau, genauer gesagt der Blick des Malers auf die Frau, noch genauer der Blick eines bekleideten Mannes – mit dem der Maler immer gemeint ist – auf eine entkleidete Frau, also den weibliche Akt, und zwar aus der Sicht einer weiteren in die Bilderzählung mit einbezogenen männlichen Figur.

In beiden Bildern kontrastieren kühle, grünlich graue, blaue Töne mit warmen, Rosa, Braun oder Ocker. Räderscheidt geht vom Augenschein aus, es gelten die Lokalfarben. Die gebrochen rosafarbenen Zylinder, aus denen er seine nackte Frau baut, werden vom Licht eines bedeckten Himmels beleuchtet und heben sich als helle Scherenform scharf vom einem dunkelgrünen Tennisrasen, ab. Auch Picassos Akt ist heller als alle übrigen Stellen im Bild, bei beiden kommt das Licht von links, schaut der Akt den Betrachter und nicht etwa den im selben Bildraum anwesenden Mann an.

Soweit das Gemeinsame.

Picasso setzt die warmen hellen Töne (bei ihm ein weiß gehöhtes, bisweilen ins Gelb gesteigertes Ocker) jedoch nicht beschreibend für die Haut des Modells, sondern hinterlegt seine dunkle männliche Figur als eine Art Gegenlicht, das den blendend hellen Schein einer Atelierlampe zitiert. Wenn man wollte, könnte man hier bereits eines jener intellektuellen Bedeutungsspiele wittern, die Picasso wie kein anderer beherrscht. Denn es ist nicht das Modell, das ein Inkarnat erhält, also eine als Fleischton verstehbare und somit plausible Farboberfläche – die henkelartigen Arme der Frau sind, wo sie nicht weiß gelassen wurden, Veroneser grün gerahmt, Brüste, Beine grün “bemalt” (wenn man von einem winzigen, wie aus Versehen ins Weiß verschmierten roten Tupfen am Bauch absieht), und dieses Grün findet sich nicht zufällig im angespannten Kopf des Malers wieder und in seiner malenden Hand, die, nebenbei gesagt, aus einem Strichkürzel besteht, das man als weibliche Scham lesen kann, was der pfeilartige Strich, der den Pinsel bezeichnet, noch unterstreicht (die Frage: was ist Malerei? ist hier ziemlich klar gestellt und sie wird, natürlich aus dem Blickwinkel des Mannes, auch recht eindeutig beantwortet) – nein, es wird der helle Ocker, der für nackte Haut zumindest naheliegendere Ton, in diesem Bild für anderes verwendet: er umfängt die Gestalt des Malers, der, wie aus Eisen zusammengeschweißt, sich auf das Äußerste konzentriert, das Licht als Kunstproblem begreift (während der kleinköpfige weibliche Akt im Schein der Lampe ist), der Maler wird von seinen pastös, wie im Furor gemalten vibrierenden Flächen eingeschlossen und bedrängt, ganz in Malerei “verpackt“.

Dort, im Künstler, und das heißt im Kopf des Künstlers, scheint Picasso versichern zu wollen, ist Erkenntnis, Reflexion, künstlerische Konzeption. Im Kopf spielt es sich ab! Wie die Riesenaugen am Bug der Schiffe der alten Griechen fixiert uns das Zyklopenauge im Riesenkopf des Malers. Der Maler ist in seinem Sehen gefangen, vom Modell (der Natur) erregt und wird von seinem erweiterten Blick gewissermaßen zum Bildermalen gezwungen.

In diesem Zusammenhang sei die Polemik eines Kritikers und Zeitgenossen Renoirs erwähnt, der das grünlich schimmernde, Bäume und Büsche reflektierende Inkarnat eines Aktes von Renoirs angewidert mit verwesendem Fleisch assoziierte. Das ist gerade in Bezug auf Picasso interessant, der zwar öffentlich Bonnard mit Geringschätzung bedachte, doch seine Sympathie für den Maler “an sich”, der die Welt mit großen Augen wie ein Kind betrachtet und sein Modell besessen studiert, in Bildern wie diesem unmissverständlich zum Ausdruck brachte.

Alles ist hier Anspielung auf das geschlechtliche, vom Künstler in Kunst überführte Begehren, auf den schöpferischen Akt, der in einer formalen Verklammerung von schwellenden weichen und hart ausragenden Formen seine Realisierung erfährt. Im Münchener Bild wird der Stuhl, auf dem die Frau sitzt, zum präfigurativen Idol, der Leieraufsatz der Staffelei zum Echo weich gebogener Glieder (an dem das Gleichgewicht des Bildes wie an einem Haken “hängt”), Pinsel stoßen durch das Palettenloch, zielen auf das Geschlecht der Frau und immer ist die Staffelei die Vertikale, der Längengrad, der die beiden Hemisphären bildmittig voneinander trennt.

Oft geht die durch rasches Arbeitstempo geradezu erzwungene Gestaltung Kompromisse ein. So stehen im Münchener Bild graphisch belassene Stellen offen im Widerspruch zu räumlich ausformulierten Passagen, und insgesamt hat man das Gefühl, die beiden hätten zu wenig Platz in dem engen Hochformat, insbesondere der Mann, dessen Stuhllehne hineingezwängt ist zwischen Bildrand und einem steifem Rücken (unermüdlich ist er tätig), eine Gewalttat, wie die brutal ausgeschabten Streifen des verschlissenen Pullovers oder diese einen Bauch (oder einen leeren Magen?) wohl meinende dunkelblaue Kotflügelform, die nur in der ohnehin schon fragwürdigen Oberschenkellösung der sitzenden Frau die entsprechende Begründung findet. Aufschlussreich ist ein Detail des Bildes, nämlich die dem Umriss einer Kopfform (!) ähnelnde und dem Betrachter zugewandte Mischfläche der Palette, die einzige graue Fläche im Bild. Man erinnert sich an den genial schockierenden Ausspruch des agent provocateurs (der damit zugleich sein malerisches Vorgehen insgesamt umriss, als ein Maler nämlich, der die Malerei aus der Form heraus entwickelt), jenen nämlich: “Farbe schwächt“. Und Corot, der große Interpret in sich versunken dasitzender junger weiblicher Modelle – Bilder, die Picasso kannte, und die ihn gerade in der nahezu farblosen Phase der kubistisch entsentimentalisierten Mandolinenspielerinnen inspirierten – hatte ja das Grau als den eigentlichen Prüfstein wahrer Malerei bezeichnet.

Räderscheidt verfährt anders. Ein formales Beziehungsgeflecht zwischen der kleinen bekleideten männlichen und der in den Vordergrund gerückten weiblichen Aktfigur gibt es nicht. Im Gegenteil, ein Netz, das buchstäblich im Bild erwähnt ist, trennt die beiden unversöhnlich, nämlich der Zaun eines Tennisplatzes, auf welchem die Frau steht, ohne sich ihrer Nacktheit zu schämen. Auch sonst scheint es unmöglich die beiden Figuren als ein Ganzes, oder auch nur als aufeinander bezogen zu sehen. Doppelt unterstrichen wird die Unnahbarkeit der Frau noch durch die weiße Markierung der Spielfläche, die, als doppelt gezogene Linie, Zweiheit zwar zitiert, aber keineswegs Verschränkung, sondern harte Abgrenzung meint, und zusätzlich die räumlich instabile Wirkung eines nach vorne kippenden Bodens verstärkt. Die Frau steht auf diesem Boden breitbeinig, stolz und sicher, ja sie scheint beinahe zu fliegen, ihrer Unbesiegbarkeit gewiss, alle runden Formen – und man könnte sagen, alle Formen im Bild überhaupt – sind allein ihr zugeordnet. Sie hält Ball und Tennisschläger wie die königlichen Machtinsignien in Händen und parodiert damit den kleinen ausgesperrten Mann. Sie, die Frau, hat das Spiel in der Hand; und zwar aus der Sicht des Mannes! Der Mann ist außenstehender Betrachter. Das ist, als Statement zur Malerei, ein von Picassos Aussage grundsätzlich durch einen rätselhaften Pessimismus sich unterscheidendes Moment, dem, wenn man so will, ein viriler Antrieb fehlt, es wird eine Blockade beschrieben, ein Stillstand dargestellt. Das Gefälle zwischen dem Betrachter und der betrachteten (weiblich gedachten) Welt wird durch Übersteigerung der Perspektive noch vertieft.

Kunst – und um Kunst geht es in diesem Bild, weil sich der Maler als betrachtendes Subjekt in das Geschehen selbst mit einbringt – scheint sich nur im Traum zu ergeben, in der irrealen Welt. Die Bereiche sind getrennt. Wirklichkeit ist unnahbar, uneinnehmbar von dem sie vereinnahmenden Blick (der Mann sieht die Frau nur aus der Ferne und von hinten). Was bei Picasso die Staffelei und die Leinwand als durchlässige Schwelle markiert, ist hier ein Zaun aus Maschendraht, der Blicke zwar passieren lässt, doch den Raum, den er begrenzt, gänzlich unbetretbar macht. Er definiert den Raum der Wirklichkeit (und das heißt bezogen auf die Malerei, den des anderen Geschlechts) als einen unzugänglichen und andern.

Konsequenterweise wird dies hier mit den Mitteln einer illusionistisch, fast naiv eine Dingwelt beschreibenden Malerei verdeutlicht, die – in krassem Widerspruch zur desillusionierenden Botschaft des Bildes – kontrapunktisch das Bild hinterfängt.

Räderscheidt hat in seinem Bild das Thema der geschlechtlich-philosophischen Bedrängnis, der sexuellen Dimension der Kunst, das Verlangen nach Abbildung, also Vereinnahmung einer heterogenen Welthälfte letztlich, das auch Picasso intendiert, dissonant auf den Punkt gebracht, während Picasso in dem seinen um formale Versöhnung gerungen hat, wenn auch, wie mir scheint, das Resultat nicht überzeugt: ein nicht aufgelöster Knoten aus Stäbchen- und Daumen- und Schlauchformen, aus Nägeln, Füßen und Gesichtern, der farbig zwar recht gut glückt, aber in der streng symmetrischen Anlage der Komposition, die an die Dreiteilung gotischer Domfassaden erinnert, zu eng gefasste Bezüge schafft, als hätte der Maler sich beim Verknüpfen und Verschlingen der Formen an einen zu kleinteiligen Raster gehalten.

Die Tennisspielerin ist Bestandteil der ständigen Sammlung in der:

Pinakothek der Moderne
Barer Straße 40
Öffnungszeiten
Täglich außer Mo 10.00 – 17.00
Do, Fr 10.00 – 20.00

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